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29.07.2009
Heimlich die Salzration gekürzt
Gebürtiger Gmünder forscht beim Mars-500-Experiment – Norbert Barthle knüpft Kontakte

Klar ist es spannend, das Mars-500-Experiment. Aber so wirklich spannend doch wohl erst, wenn die Astronauten nicht nur probeweise für 105 Tage lang in einem Container auf der Erde zusammengepfercht werden, sondern dann, wenn sie tatsächlich 520 Tage unterwegs sind? In 30 Jahren vielleicht. Oder? „Stimmt nicht“, behauptet der aus Gmünd stammende Wissenschaftler Dr. Jens Titze. Seine Experimente sorgten dafür, dass die Marsflug-Simulation auch heute schon spannend ist. Nicht nur für Wissenschaftler.

 

 

 

Anke Schwörer-Haag

Foto mit der Kanzlerin ergattert: Norbert Barthle (l.), Dr. Jens Titze (3.v.l.), Natalia Rakova (4.v.l.), Dr. Angela Merkel (5.v.l.), Tatyana Agaptseva (7.v.l.), weitere Gäste.

Experiment in Moskau: 105 Tage verbrachten sechs Männer in dieser „Raumstation“. Diese Zeitraffer-Simulation eines Marsflugs nutzte der aus Gmünd stammende Mediziner Dr. Jens Titze für seine Untersuchungen. (Foto: TU-Wien )

Schwäbisch Gmünd/Moskau. Zunächst zur Simulation: Der deutsche Astronaut Oliver Knickel wollte es wissen, ob er gemeinsam mit fünf anderen Männern die monatelange Isolation auf nur 100 Quadratmetern Raum aushalten würde. Mit vier russischen und einem französischen Kollegen war er in der Raumkapsel, die im Zeitraffertempo eine Marsmission durchexerzierte, um erste Erkenntnisse zu sammeln, welche Auswirkungen auf die Psyche und die körperliche Gesundheit zu erwarten sind. Mit Bravour bestand das Team die Herausforderung. Im März 2010 startet ein weiterer Test – dann 520 Tage.
Dann zum Hintergrund: Der deutsche Spezialist für Nieren- und Hochdruckkrankheiten, Dr. Jens Titze, war auch mit von der Partie bei Mars 500. Er hat, unterstützt von der Firma Apetito aus Rheine und von der DLR-Raumfahrtagentur, die Verpflegung der sechs Astronauten organisiert. Mit Hintergedanken selbstverständlich: „Wir haben, ohne dass die sechs das wussten, in den drei Monaten die Kochsalzzufuhr von zwölf auf neun und dann auf sechs Gramm täglich reduziert“, erzählt der Mediziner.

So nützt die Raumfahrt allen
Ein Versuch, der „in der freien Wildbahn des Alltags heute unmöglich sei, weil 75 Prozent des Salzkonsums aus Konservierungsmitteln und Geschmacksverstärkern stammen und freiwillig gar nicht abgesetzt werden könnten. Im metabolischen Käfig, der „Raumkapsel“, konnten die Wissenschaftler aber exakt steuern, was jeder Astronaut täglich zu sich nahm.
Aus den beschrifteten Urinproben, die über den „Hausmüll“ täglich aus der Raumstation kamen, zogen die Mediziner ihre Erkenntnisse: „Ich war überrascht, wie bei diesen gesunden Leuten der Blutdruck gefallen ist“, erzählt Dr. Jens Titze, der an der Uni Erlangen-Nürnberg arbeitet. Er ist überzeugt, dass diese Untersuchungsergebnisse den 20 Millionen Menschen helfen, die an Bluthochdruck leiden. „So nützt die Raumfahrt auch der Allgemeinheit“, meint er zufrieden und ist sicher, dass sich in absehbarer Zeit jetzt auch die Lebensmittelindustrie für diese Ergebnisse interessieren wird. Denn: „Beklagt, dass das Essen fade sei, hat sich keiner“, erzählt Titze, „die haben das nicht mal gemerkt.“ Gemerkt hat Oliver Knickel nur, dass er mit dem festgelegten Speiseplan in 105 Tagen insgesamt vier Kilogramm Gewicht verloren hat.

Ex-Lehrer Norbert Barthle hilft
Und noch ein weiterer Gmünder half im Hintergrund mit: Gar nicht so einfach war es nämlich für das Wissenschaftler-Team um Dr. Jens Titze, die 4633 Lebensmittel-Portionen samt der aufwändigen Kühlaggregate über den Zoll nach Moskau schaffen. Als die Probleme schier unüberwindlich wurden, erinnert sich der gebürtige Gmünder und Parler-Gymnasiast daran, dass sein einstiger Deutsch- und Sportlehrer heute als Abgeordneter in Berlin aktiv ist. Norbert Barthle lässt sich nicht zweimal bitten und vermittelt Kontakte zum Bundesforschungsministerium und zur Deutschen Botschaft in Moskau. „Buchstäblich in letzter Sekunde kamen Nahrungsmittel und Kühlschränke durch den Zoll“, erzählt er und fühlt sich angesichts der Stories, die Jens Titze ihm erzählen konnte, „fast in die Zarenzeit zurückversetzt.“
Überhaupt erinnert sich Barthle gerne zurück an die Zeit, als Jens Titze noch bei ihm die Schulbank drückte: „In Deutsch war er nicht ganz so exzellent“, räumt er ein, „in Sport war er dafür absolute Spitze. Besonders im Tennis.“ Jahrelang sei der heutige Mediziner einer der Stars in der ersten Herrenmannschaft des TV Gmünd gewesen und für seinen Lehrer eine Stütze im Wettbewerb „Jugend trainiert für Olympia.“
Heute habe er leider kaum noch Zeit zum Tennisspielen, gibt der 41-jährige Wissenschaftler zu, der Gmünd 1989 verlassen hat, um zu studieren. Heute gehe er lieber Joggen in den Wald. Und kann das Racket trotzdem nicht liegen lassen: dreimal in der Woche trainiert er mit seiner 13-jährigen Tochter.
Norbert Barthle übrigens hat einiges an Moskau-Erfahrung dazu gewonnen, wo das Motto „Eine Hand wäscht die andere“ gilt: „Mit den richtigen Leuten auf einem Foto zu sein, ist dort fast so wertvoll wie ein Sechser im Lotto“, weiß er und erzählt, wie es ihm gelungen ist, den beiden russischen Wissenschaftlerinnen vom Institut für medizinisch-biologische Probleme“, das beim Raumfahrtexperiment die Federführung hatte, ein solches „Date“ mit der Kanzlerin zu verschaffen. Aus dem Büro Merkel war auf die schriftliche Anfrage eine Absage gekommen. Keine Zeit.

Der „Zufall“ könnte 2010 helfen
Wie’s der „Zufall“ will, ist der Gmünder Abgeordnete just in dem Moment mit seiner Dankeschön-Führung durch den Reichstag am Hintereingang vorbeigekommen, als Angela Merkel diesen auf dem Weg zu einer Sitzung nutzte. Der Versuchung, mit den Wissenschaftlerinnen zu plaudern, habe die Kanzlerin nicht widerstehen können, schmunzelt der CDU-Abgeordnete. Und sein Ex-Schüler Titze hofft, dass durch den Zufall bei der 520-Tage-Isolation ab März 2010 wieder deutsche Tiefkühlkost mit wissenschaftlicher Würze gefragt sein wird.

© Schwäbische Post 28.07.2009


 

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